In den Installationen der St.Galler Video- und Multimediakünstlerin Pipilotti Rist werden die Grenzen zwischen Werk und Betrachter, Heim und Welt permanent verschoben. Das Zimmer, 1994/2000, eines ihrer frühen Meisterwerke, wird als Dauerleihgabe der Künstlerin der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und erlaubt selbst erwachsenen Besuchenden, sich für einmal wieder wie ein Kind zu fühlen.
Seit September 2018 ist das Hauptwerk von Pipilotti Rist im Café des Kunstmuseums St.Gallen integriert, das 1994 anlässlich ihrer ersten Einzelausstellung im Kunstmuseum St.Gallen entstand und seither permanent gezeigt wird.
Playlist
Der befreiende Sprung aufs Sofa der Kindheit und der Griff zur grossen Fernbedienung führt direkt in die Welt der bahnbrechenden Videoarbeiten der Künstlerin. Eine Playlist, angelehnt an diese Videoarbeiten, transferiert Das Zimmer in die eigenen vier Wände.
- Kevin Coyne – Jackie And Edna
- Pipilotti Rist, Anders Guggisberg – Homo Sapiens Sapiens
- The Beatles – Happiness Is A Warm Gun
- The Beatles – Sexy Sadie
- Les Reines Prochaines – You Called Me Jacky
- Pipilotti Rist, Anders Guggisberg – To See How You See
- Chris Isaak – Wicked Game
Das Zimmer
Ein Sofa und ein Sessel, beides in knallroter Farbe, dazu eine Stehlampe mit grossmütterlichem Lampenschirm, ein wundersames Bild an der Wand und ein ordentlicher Fernseher auf einem flauschigen Teppich platziert erzeugen zusammen eine heimisch-vertraute Atmosphäre. Das Café im Kunstmuseum St.Gallen verwandelt sich gleichsam in die gute Wohnstube, nur dass das Mobiliar in den Dimensionen derart vergrössert ist, dass man sich als erwachsene Person auf dem Sofa plötzlich wieder wie ein Kleinkind fühlt. Das traute Heim scheint ins Monströse überhöht und wirkt dadurch gleichermassen verspielt wie bedrohlich. Besucherinnen und Besucher werden Teil von Pipilotti Rists fröhlichem Environment, in der die Dimensionen nicht nur wie weiland Gulliver auf seinen Reisen ins Land Brobdingnag entscheidend verschoben sind, sondern sich vielmehr damit automatisch neue Perspektiven auf die Welt eröffnen.
Mittels einer ebenfalls überdimensionierten Fernbedienung lassen sich auf dem Fernsehmonitor verschiedene Programme einschalten. Dabei handelt es sich um die gesammelten Einkanal-Videoarbeiten der Künstlerin vom frühen I’m Not The Girl Who Misses Much (1986) bis zu Let Your Hair Down (2009). Zusammen bieten sie gewissermassen eine konzise Filmretrospektive der Künstlerin im Kleinen. In ihren Videos beschäftigt sich Pipilotti Rist mit der visuellen und auditiven Beschreibung der Gefühle, welche Bilder und Töne ergeben, «wenn du berührt wirst oder wenn du jemanden berührst» (Rist). Die beinahe malerische Behandlung der Bilder wie auch die raumgreifende Inszenierung ihrer Videos sind charakteristisch für ihre unverwechselbare künstlerische Sprache wie auch spektakuläre Kamerafahrten und sich überschlagende Bilder, die zusammen mit technischen Verfremdungen und assoziativen Montagen in traumartigen Sequenzen in einen alles umfassenden, leuchtend farbigen Bilderstrom münden. Raffiniert befragt die Künstlerin den vermeintlichen Wirklichkeitsgehalt des Mediums Video und schafft zugleich ihre eigenen sinnlichen Bild- und Erfahrungsräume, in die man wie in die überdimensionierten Sofas eintauchen kann, um einzigartige Glücksgefühle zu erleben: «Video ist die Synthese von Musik, Sprache, Malerei, Bewegung, ‚miesen-fiesen’ Bildern, Zeit, Sexualität, Erleuchtung, Hektik und Technik. Das ist das Glück des Fernsehschauenden und der Videokünstler.» (Rist) Dazu ergänzt die Kuratorin Stephanie Rosenthal treffend: «Rist verführt ihr Publikum, den eigenen Gedanken zu folgen, die inneren Bilder in Fluss zu bringen und die Perspektive auf die Welt zu verschieben, neue Facetten zu entdecken. Wie einen Freund nimmt sie uns bei der Hand und schärft unsere Aufmerksamkeit.»